1873–1887

MRI
19. März 1873 (Brand)
Geburt im Schulhaus zu Brand (Oberpfalz) als erstes Kind des Dorfschullehrers Josef Reger und seiner Frau Philomena.
 
1874 (Weiden)
Josef Reger wird zum neuen Schuljahr an die Präparandenschule in Weiden (Oberpfalz) berufen, wo er Deutsch, Geschichte, Geografie, Harmonielehre, Orgel und Klavier unterrichtet; zu seinen Schülern zählt Adalbert Lindner, Regers späterer Lehrer und Biograf.
 
1878
Ab dem 5. Lebensjahr Klavierunterricht bei der Mutter, dann auch beim Vater.
 
1879
Eintritt in die erste, nach vier Wochen Übergang in die zweite Klasse der Volksschule, da seine Mutter ihn bereits im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet hatte.
 
1882
Eintritt in die Königliche Realschule.
 
1884
Klavier- und ab 1886 Orgelunterricht bei Adalbert Lindner (bis 1889).
 
1885
Mit dem Vater Umbau der ausgedienten Orgel der Präparandenschule zur Hausorgel der Familie Reger; Orgelunterricht beim Vater.
 
1886
Abschluss der Realschule als einer der besten Schüler; Eintritt in die Königliche Präparandenschule zur Vorbereitung auf den Lehrerberuf, zu dem ihn die Eltern bestimmt haben. Orgelspiel beim katholischen Sonntagsgottesdienst in der Stadtpfarrkirche St. Michael, die damals eine Simultankirche für beide Konfessionen ist; vermutlich lernt er hier den evangelischen Choral kennen.
 
1887
Im Mai tritt Reger im »Gasthof zur Eisenbahn« mit der Sonate f–moll von Julius Schulhoff erstmals öffentlich auf. Im August verbringt er die Ferien auf dem herrschaftlichen Gut Königswiesen bei Regensburg, das sein Onkel Johann Baptist Ulrich erworben hatte. Von dort besucht er sonntags den Regensburger Dom.
 

1888

[Weiden]

Im August wird Reger von seinem Onkel Johann Baptist Ulrich zum Besuch der Bayreuther Festspiele eingeladen. Er sieht den von Felix Mottl dirigierten Parsifal in der Inszenierung und Dekoration der Uraufführung von 1882 sowie die in diesem Jahr erstmalig in Bayreuth gegebenen Meistersinger unter Hans Richter. Reger, der zum ersten Mal ein Orchester bzw. gar ein Musikdrama erlebt, fasst aufgrund des gewaltigen Eindrucks den Entschluss, Musiker zu werden.

Im Spätsommer komponiert er sein erstes Werk, eine Ouvertüre h-moll (WoO I/1) mit großem Umfang (120 Seiten), wenn auch für kleine Besetzung (eventuell Flöte, Klarinette, Klavier und Streichquintett). Adalbert Lindner sendet diese im November an Hugo Riemann, den führenden Musikwissenschaftler seiner Zeit, der positiv antwortet, aber dringend rät, den Einfluss Wagners zurückzudrängen und Melodien statt Motive zu schreiben (vgl. Brief Riemanns vom 26. November 1888 an Lindner). Im Dezember dankt Reger Riemann für seinen Rat und die Übersendung von Lehrbüchern, mit denen er privat zu studieren beginnt.

1889

[Weiden]

Im Juni schließt Reger die Präparandenschule mit einem glänzenden Zeugnis ab. Auf Wunsch des Vaters unterzieht er sich im August der Aufnahmeprüfung für das Königliche Lehrerseminar Amberg, besteht diese auch, versucht aber, sein Vorhaben, Musiker zu werden, durchzusetzen. In der Auseinandersetzung mit dem Vater findet er Unterstützung durch Adalbert Lindner und die aus Weiden stammende Opernsängerin Wilhelmine Mayer.

Reger befolgt Hugo Riemanns Rat und komponiert Kammermusik (vgl. Brief Riemanns vom 26. November 1888 an Adalbert Lindner), darunter ein Streichquartett d-moll (WoO II/2), das dem Gelehrten zur Begutachtung vorgelegt wird. Auch sendet er das Quartett zusammen mit einem Largo D-dur für Klaviertrio (WoO II/3) an Josef Rheinberger, Kompositionslehrer an der Münchner Akademie der Tonkunst, der Reger trotz »Unreife genügendes Talent« für die musikalische Laufbahn attestiert. Unterstützt durch anhaltende Fürsprache Lindners, Riemanns und letztlich auch seiner Mutter setzt Reger seinen Wunsch gegen die Bedenken des Vaters durch.

1890

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[Weiden]

Im Winter 1889/90 treibt Reger eifrig Privatstudien und bereitet sich auf die Studienzeit bei Hugo Riemann mit dessen Lehrbüchern vor (u.a. Lösung von 1000 Harmonielehreaufgaben). Die Berufung Riemanns von Hamburg an das Sondershausener Konservatorium macht es möglich, »daß ich also meine Studien bei ihm absolvieren kann«.

Sondershausen

Reger ist von April bis Juli Hugo Riemanns Schüler im Theorieunterricht am Fürstlichen Konservatorium Sondershausen, wo er sogleich in die Kontrapunktklasse eintritt; auch erhält er private Klavierstunden bei Riemann. In Sondershausen empfängt er zahlreiche musikalische Anregungen, besucht sämtliche Loh-Konzerte (benannt nach dem dortigen Aufführungsort, der bei einem früheren Lohwäldchen gelegenen Loh-Halle), findet im Hause Riemann freundliche Aufnahme und wird dort systematisch in die Werke von Johannes Brahms und Johann Sebastian Bach eingeführt. Er schließt sich mit anderen Riemann-Schülern zur Ritterschaft Montsalvat zusammen, die für ihre Streiche berühmt-berüchtigt wird.

Wiesbaden

Im Gefolge Riemanns tritt Reger am 20. September als Schüler Nr. 172 mit den Hauptfächern Klavier und Theorie in das Conservatorium zu Wiesbaden ein und wird dort gleichzeitig als Lehrer für Klavier und Orgel angestellt, um sein Studium zu finanzieren und die durch einen Klavierkauf entstandenen finanziellen Probleme der Eltern zu mildern. Reger wird mittags und abends zum Essen bei Riemanns eingeladen und verbringt dort nahezu die ganze Freizeit, selbst die Weihnachtsfeiertage.

1891

MRI

[Wiesbaden]

Im März werden die beiden ersten Sätze der Violinsonate d-moll op. 1 im Wiesbadener Konservatorium aufgeführt, finden aber nur wenig Beifall. Der Versuch, die Sonate im Verlag B. Schott’s Söhne unterzubringen, schlägt fehl. Weitere Kammermusikwerke unter starkem Brahms-Einfluss entstehen. Mit einem Vortrag von Brahms’ Händel-Variationen op. 24 am 27. Juni beendet Reger sein Klavierstudium. Im Jahresbericht des Konservatoriums für das Schuljahr 1891/92 (beginnend im September) wird er als Schüler in Theorie sowie als Lehrer für Klavier und Theorie geführt.

1892

[Wiesbaden]

In Schülerkonzerten des Wiesbadener Konservatoriums werden im März der erste Satz des Klaviertrios h-moll op. 2 sowie im April die Violinsonate D-dur op. 3 uraufgeführt. Auf Vermittlung Hugo Riemanns schließt Reger im Sommer mit dessen englischem Verlag Augener & Co. einen Siebenjahresvertrag. Im April und Mai erhält er Zeugnisse von Riemann und Hofkapellmeister Franz Mannstädt für die Zulassung zum Einjährig-freiwilligen Militärjahr. Im Jahresbericht des Konservatoriums für das Jahr 1892/93 wird er als Schüler in Theorie sowie als Lehrer für Klavier und Orgel genannt. Regers Cellosonate f-moll op. 5, sein wohl avanciertestes Wiesbadener Kammermusikwerk, stößt selbst bei Riemann auf Verständnisschwierigkeiten. In seiner ersten Orgelkomposition Opus 7 stellt er den Anspruch auf Originalität bewusst zurück, um handwerklich solide, traditionelle Gesellenstücke zu liefern. Im Dezember entspricht er mit den Walzer-Capricen op. 9 erstmals dem Verlegerwunsch nach leichten, verkäuflichen Werken, der ihn lebenslang begleiten wird.

1893

MRI

[Wiesbaden]

Anfang des Jahres erscheinen die ersten fünf Opera Regers im Verlag Augener & Co. Im Februar tritt Reger als Schüler aus dem Wiesbadener Konservatorium aus, bleibt aber als Lehrer für Klavier und Orgel angestellt; um sich über Wasser zu halten, erteilt er zusätzlich privaten Klavierunterricht, auch im Hause der preußischen Offiziersfamilie von Bagenski, wo er im Frühjahr seine spätere Ehefrau Elsa von Bercken, geb. von Bagenski kennenlernt. Er tritt mehrfach als Pianist im Casino und im Konservatorium auf und spielt dabei seine noch unveröffentlichte Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge D-dur BWV 532 (Bach-B1 Nr. 3); er sieht sich »auf der Bahn des Klavierspielers angelangt – Composition Hauptsache selbstverständlich«.

Heinrich Reimann publiziert im Juli in der Allgemeinen Musik-Zeitung den ersten relevanten Artikel über Regers Kompositionen; er nennt ihn einen »Brausekopf«, den er vor Übersteigerungen warnt, erwartet aber Großes von dem neu sich erhebenden Talent. Reger schreibt Rezensionen für das gleiche Organ (bis Ende 1894) und erwirbt sich durch sein kompromissloses Urteil wenig Freunde; immerhin geben einige positive Besprechungen auch Anlass, mit angesehenen Musikern und Komponisten in Verbindung zu treten.

Reger strebt nach Selbstständigkeit und entfremdet sich von Hugo Riemanns dogmatischem Musikverständnis; er drängt den Brahms-Einfluss bewusst zurück und studiert die von Riemann abgelehnten Werke Franz Liszts. Die Uraufführung der Cellosonate f-moll op. 5 im Oktober stößt auf negative Kritik.

1894

[Wiesbaden]

Am 14. Februar findet – unter Beteiligung des Komponisten – in der Berliner Singakademie das erste ausschließlich Regers Werk gewidmete Konzert mit der Uraufführung des Klaviertrios h-moll op. 2, der vollständigen Violinsonate d-moll op. 1 (siehe 1891), der Cellosonate f-moll op. 5 und Liedern statt. Otto Leßmann wirft Reger in seiner Kritik vor, sein Vorbild zu »überbrahmsen«, und rät zur Umkehr. Wegen des ausbleibenden künstlerischen Erfolgs bahnt sich eine erste Krise an, die durch eine unglückliche Liebe zu Mathilde »Tilly« Hilf, der Tochter eines Wiesbadener Regierungsrats, verstärkt wird; Vereinsamung, Depression und Flucht in den Alkohol sind die Folge.

Im Herbst wird Reger durch Arthur Smolians positive Rezension Max Reger und seine Erstlingswerke im Musikalischen Wochenblatt wieder motiviert. Smolian, damals Lehrer am Badischen Konservatorium in Karlsruhe, stellt den Kontakt zum dortigen Generalmusikdirektor Felix Mottl und zum Konservatoriumsdirektor Heinrich Ordenstein her, doch scheitert Mottls Plan, Regers Klaviertrio op. 2 in Karlsruhe aufzuführen. In der Neuauflage seines Lexikons nennt Hugo Riemann Reger ein »reiches, vielversprechendes Kompositionstalent«. Reger unterrichtet am Wiesbadener Konservatorium neben Klavier und Orgel zusätzlich Theorie und erteilt weiterhin private Klavierstunden. Im September sendet er Eugen d’Albert virtuose Bach-Bearbeitungen (Bach-B1) und überträgt zu dessen großer Zufriedenheit die Ouvertüre zu Grillparzers »Esther« für Klavier zu vier Händen (d’Albert-B1).

1895

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[Wiesbaden]

Im April nimmt Reger Kontakt zu Ferruccio Busoni auf und tauscht mit ihm Bearbeitungen und Originalkompositionen aus. Am 23. Juli setzt er den Schlussvermerk unter seine Suite e-moll für Orgel op. 16, die er als sein bisher bestes Werk betrachtet und bekenntnishaft »Den Manen Joh. Seb. Bachs« widmet. Die mit großem Fleiß und kontrapunktischem Können erstellten 111 Canons (WoO III/4) werden in den Weidener Sommerferien im September vollendet. Im Herbst ziehen Hugo Riemann und seine Familie nach Leipzig. Reger erteilt weiterhin Klavier-, Orgel- und Theoriestunden am Wiesbadener Konservatorium und gibt private Klavierstunden. Im September sendet er Busoni sowie Richard Strauss seine Bach-Bearbeitungen (Bach-B1) und erhält positive Reaktionen.

1896

MRI

[Wiesbaden]

Im Februar besucht Reger ein Konzert der Museumsgesellschaft in Frankfurt, in dem Richard Strauss seinen Till Eulenspiegel dirigiert und Ferruccio Busoni als Solist in einem Klavierkonzert von Anton Rubinstein auftritt; er macht persönliche Bekanntschaft mit beiden Komponisten. Eine Aufführung seines Klaviertrios h-moll op. 2 bei der Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (ADMV) in Leipzig wird abgelehnt, da er zu wenig Verdienste um Franz Liszt, den Gründer des ADMV, habe. Reger sendet Johannes Brahms seine Suite e-moll op. 16 und bittet ihn, die Widmung seiner ersten Symphonie anzunehmen; Brahms akzeptiert freundlich und sendet seine Fotografie. Augener & Co. lehnt den Druck der vierhändigen Bearbeitung der Orgelsuite ab, veröffentlicht aber weitere Bach-Arrangements (Bach-B2). Im Juni sind 187 Seiten eines Klavierkonzerts f-moll (WoO I/4) für Eugen d’Albert geschrieben, im Juli ist eine Symphonie h-moll (WoO I/5) weitgehend fertiggestellt. Beide Werke werden dem Augener-Verlag für August/September angekündigt; ihr Schicksal ist ungeklärt.

Im Oktober beginnt Reger seine Militärzeit als Einjährig-Freiwilliger am Ende der möglichen Zurückstellungszeit. Da hierdurch erhebliche Kosten entstehen, die zur Finanzierung einkalkulierten Werke (Sinfonie h-moll und Klavierkonzert f-moll) aber nicht gedruckt worden waren und die Verdienstmöglichkeiten durch Unterricht und Komposition ausfallen, gerät Reger in immer tiefere Verschuldung: »Kein Mensch gibt mir einen Pfennig; ich stehe allein da; u kümmert sich niemand um mich; im Gegenteil, meine Herren Kollegen (die Herren Musiker) thun ja alles um mich „klein“ zu kriegen« (Brief vom 19. Dezember an August Döring). Zum Militärdienst ungeeignet, verbringt er schon die ersten Wochen (seit Mitte Oktober) wegen einer Fußgelenk-Entzündung im Lazarett. Die erhoffte Dienstuntauglichkeit wird jedoch nicht festgestellt; Reger muss die gesamte Zeit abdienen: »Da vergeht einem die Lust am Leben. Und so soll es nun jahraus-jahrein gehen. Nun, ich verliere den Mut nicht; ich lebe u. sterbe für meine heilige, hochheilige Kunst – u. finde ich keine Anerkennung, so soll man mich einfach so einscharren.« (Ebda.)

1897

MRI

[Wiesbaden]

Im März bringt Karl Straube in Berlin die Suite e-moll op. 16 zur Uraufführung. Reger wird von der Kritik als »Socialdemokrat unter den jetzigen Komponisten« bezeichnet, der den Umsturz predige (siehe Brief vom 11. April an Adalbert Lindner). Im Juli empfiehlt Richard Strauss »Reger (Orgel- u. Klaviercomponist, sehr tüchtig) als geschickten Bearbeiter« seinem Originalverlag Jos. Aibl in München. Hoch verschuldet und gesundheitlich angeschlagen durch ein Geschwür am Hals (vermutet wird eine Strahlenpilzwucherung/Aktinomykose), das zwei Operationen erfordert, wird Reger am 1. Oktober aus dem Militärdienst zur Reserve entlassen. Verschiedene Klavierwerke bleiben ungedruckt im Augener-Verlag liegen und erscheinen erst Jahre später.

1898

[Wiesbaden]

Ein Klavierquintett c-moll (WoO II/9) wird im Februar vollendet, aber von Augener & Co. abgelehnt. Klavierstücke und Bach-Bearbeitungen bleiben ungedruckt und erscheinen erst in späteren Jahren nach dem geglückten Wechsel zum Münchner Jos. Aibl Verlag. Unterstützt durch Zeugnisse Ferruccio Busonis und Felix Mottls bewirbt sich Reger in Heidelberg und Bonn um Kapellmeisterstellen, jedoch ohne Erfolg. Durch die Misserfolge gerät er immer tiefer in die Alkoholabhängigkeit. Ende März beginnt mit Konzerten Karl Straubes in der Frankfurter Paulskirche, in denen dieser auch die Suite e-moll op. 16 aufführt, eine lebenslange Künstlerfreundschaft.

Ein erster Versuch Emma Regers im März, ihren verwahrlosten Bruder nach Weiden heimzuholen, scheitert. Reger wird von den Eltern aufgegeben, die bei ihm Größenwahn im höchsten Stadium vermuten. Beim zweiten Versuch hat die Schwester Erfolg: Mitte Juni kehrt Reger ins Elternhaus zurück. Seine Gesundheit ist durch Alkohol und Nikotin stark angegriffen, das Geschwür am Hals hat sich wieder gebildet und muss nach seiner Rückkehr erneut operiert werden.

Weiden

Die Isolation in Weiden fördert Regers künstlerische Produktivität. Wenige Tage nach der Rückkehr setzt er den Schlussvermerk unter die Walzer op. 22; innerhalb weniger Wochen vollendet er die Opera 23, 25 und 26 sowie die Klavierwerke WoO III/10 und III/11; umgehend begibt er sich auf Verlegersuche (auch für seine noch in Wiesbaden komponierten Werke). Von den Eltern als gescheiterte Existenz betrachtet, wird er von Karl Straube in seiner Berufung als Komponist unterstützt. Schon Mitte September ist die erste dem Freund gewidmete Choralphantasie, »Ein’ feste Burg ist unser Gott« op. 27, vollendet und wird bald darauf von Straube uraufgeführt. Mit ihr eröffnet Reger die Reihe seiner großen Orgelwerke, mit denen er zu einem neuen, persönlichen Orgelstil findet und wachsende Erfolge erwirbt. Mit seiner zweiten Cellosonate g-moll op. 28, in welcher der Brahms-Einfluss noch wirkt, hat er dagegen wenig Erfolg; sie wird erst acht Jahre später uraufgeführt.

Richard Strauss vermittelt Reger nun auch als Komponisten an den Leipziger Verlag Rob. Forberg (Opera 24, 26, 27 und 29) und den Münchner Jos. Aibl Verlag, der in den Weidener Jahren Regers Hauptverleger wird. Reger bedankt sich bei Strauss mit der Widmung seiner Phantasie und Fuge c-moll op. 29. Mit beginnenden Einnahmen kann Reger die in Wiesbaden hinterlassenen Schulden sukzessive abtragen. Zum ersten Mal seit vier Jahren erscheint wieder ein ausführlicher Artikel über Reger mit Bild und Lebenslauf, geschrieben von Regers Wiesbadener Freund Caesar Hochstetter, der den Verlegern den hochbegabten jungen Komponisten ans Herz legt. Reger bedankt sich mit der Widmung seiner Opera 25 (Aquarellen) und 34 (Cinq Pièces pittoresques).

1899

MRI

[Weiden]

Die schöpferische Hochstimmung hält an. Reger komponiert Klavierstücke, weitere Orgelwerke, Kammermusik und Lieder. Karl Straube setzt die Reihe der Uraufführungen mit der I. Sonate fis-moll op. 33 und der Choralphantasie »Wie schön leucht’t uns der Morgenstern« op. 40 Nr. 1 fort und führt in München Regers Fantasie und Fuge c-moll op. 29 in Anwesenheit des Komponisten auf.

Im Mai/Juni verbringt Reger mehrere Wochen in Schneewinkl bei Auguste von Bagenski, ihrer Tochter Elsa, die im April geschieden worden war, und deren Cousine Berthel, der er in Wiesbaden Klavierunterricht gegeben hatte. Er verliebt sich in Elsa und komponiert zehn Liebeslieder; doch wird sein Werben von ihr zurückgewiesen, da sie sich zu gut an seine Wiesbadener Krisenzeit erinnert.

Im September ist Reger einige Tage Gast des Geigers Josef Hösl in München; bei dieser Gelegenheit begegnet er Henrik Ibsen, den er zeitlebens sehr verehrt. Bei Hösl bedankt er sich mit der Widmung seiner dritten Violinsonate A-dur op. 41. Mit den Vier Sonaten op. 42, die innerhalb kurzer Zeit Verbreitung finden, greift er erstmals die alte Gattung der Soloviolinkomposition auf.

1900

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[Weiden]

Reger komponiert seinen großen Wurf Phantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46 und widmet das Werk Josef Rheinberger, der sich jedoch über die Kompliziertheit entsetzt. Neben Karl Straube beginnen weitere Organisten, auch im Ausland, sich für Reger zu interessieren. Andreas Hofmeier bringt in Brünn die Choralphantasie »Straf mich nicht in deinem Zorn!« op. 40 Nr. 2 zur Uraufführung, während Straube in Wesel Opus 46 aus der Taufe hebt.

Reger wendet sich erneut der Kammermusik zu, komponiert sein erstes Streichquartett (Opus 54 Nr. 1). Mit zwei Klarinettensonaten op. 49 fordert er den Vergleich mit Brahms heraus. Der Plan, ein Konzert für Orgel mit großem Orchester zu schreiben (WoO I/7), wird aufs folgende Jahr verschoben. Im Dezember findet die Uraufführung der Violinsonate op. 41 durch Reger und Josef Hösl in München statt und erhält günstige Besprechungen durch Theodor Kroyer und Rudolf Louis, die von der Neuartigkeit und Eigenart der Sprache überrascht sind. München wird auf Reger aufmerksam.

1901

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[Weiden]

Im Januar tritt Reger in Berlin als Liedbegleiter von Josef Loritz auf und wird von Otto Leßmann freundlich rezipiert. Im März spielt Karl Straube in einem Münchner Konzert fünf große Orgelwerke Regers, die dem angereisten Komponisten erneut gute Besprechungen einbringen. Auf Vermittlung Philipp Wolfrums bringt Straube im Juni beim Tonkünstlerfest des ADMV Regers Phantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46 zur Aufführung und erreicht dadurch überregionale Beachtung; Reger kann aus Zeitmangel nicht teilnehmen. Im Juli gibt der Ulmer Organist Karl Beringer sein erstes großes Regerkonzert. Mit den Orgelstücken op. 59 kommt es zur Verbindung mit dem Verlag C.F. Peters.

Reger vermisst die musikalischen Anregungen und fühlt sich in Weiden zunehmend eingeengt, so dass er seine Fühler nach München ausstreckt. Es gelingt ihm, seine Eltern zu einem Ortswechsel zu bewegen und übersiedelt nach der Frühpensionierung des Vaters mit ihnen und seiner Schwester Emma am 1. September nach München-Haidhausen; zahlreiche Manuskripte von frühen oder verworfenen Werken, die für ihn ihre Bedeutung verloren haben, schenkt er zum Abschied Adalbert Lindner.

München

In München nimmt Reger sogleich mit wichtigen Persönlichkeiten des dortigen Musiklebens Kontakt auf, darunter Max Schillings, der Vorstand des Musikausschusses des ADMV. »Schillings, Hausegger, Braungart sind Prachtmenschen – ist so mein hauptsächlichster Verkehr neben Loritz!« (Brief vom 4. Dezember an Adalbert Lindner) Er arbeitet erneut an einem Orgelkonzert (WoO I/7), das beim nächsten Tonkünstlerfest aufgeführt werden soll, kommt aber über das Planungsstadium nicht hinaus. Anfangs ist er ein eifriger Konzertgänger (auch als Kritiker), reduziert den Besuch aber im folgenden Jahr, da er sich gedanklich zu sehr mit Musik beschäftige und die Konzertprogramme »zu viel des Einschläfernden« enthielten. Im November gibt Karl Straube in München einen weiteren vielbeachteten Reger-Abend mit den Drei Choralphantasien op. 52 und der Phantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46.

Als Liedbegleiter und Kammermusiker findet Reger uneingeschränkte Anerkennung. Seine nun einsetzende, zeitlebens andauernde umfangreiche Konzerttätigkeit trägt wesentlich zur Auseinandersetzung mit seinem Werk und zu dessen Erfolg bei. Reger übernimmt einige Privatschüler in Theorie und Klavierspiel, deren Zahl in den folgenden Jahren stark anwächst.

1902

MRI

[München]

Die Berliner Uraufführung von Regers kühner Symphonischer Phantasie und Fuge op. 57 durch Karl Straube wird zum Teil mit Entsetzen aufgenommen. Einzelne Rezensenten verweisen das Werk gar in den Bereich des Pathologischen, so etwa Rudolf Louis, der über eine Aufführung in Basel 1903 urteilt, bei Reger scheine »so etwas wie eine ton- und klangpsychologische Perversität vorzuliegen, infolge deren er ebenso in der Kakophonie, im Musikalisch-Häßlichen schwelgt wie andere im rein sinnlichen Wohllaut« (Rezension). Die Uraufführung der ersten Klarinettensonate aus Opus 49 dagegen bringt Reger wegen ihrer impressionistischen Klangsinnlichkeit höchstes Lob der Kritik. Nachdem eine Sinfonie d-moll (WoO I/8) Fragment bleibt, wird in den folgenden Jahren die Kammermusik zum wesentlichen Kompositionsbereich.

Durch Verlags- und Konzerthonorare sowie Privatstunden ist Reger nun in der Lage, einen eigenen Hausstand zu gründen. Er bemüht sich erneut um Elsa von Bercken, die einen Münchner Liederabend Regers besucht und ihre frühere Ablehnung seines Werbens überdenkt. Am 25. Oktober findet die zunächst standesamtliche Heirat statt. Die Ehe mit einer geschiedenen Protestantin hat Regers Exkommunikation zur Folge und wird von seiner Familie scharf abgelehnt. Am 7. Dezember lässt sich das Paar in der Dorfkirche zu Boll bei Göppingen (Württemberg) von einem evangelischen Pfarrer auch kirchlich trauen.

Da der Aibl-Verlag, durch die Krankheit des Besitzers beeinträchtigt, zwei Werke – die Burlesken op. 58 für Klavier zu vier Händen und das Klavierquintett c-moll op. 64 – zurückweist, sucht Reger nach einem neuen Hauptverlag. Der zum 1. Januar 1903 geschlossene Vorkaufsvertrag mit der frisch gegründeten, aber auch finanzschwachen Leipziger Firma Lauterbach & Kuhn erweist sich jedoch auf Dauer als äußerst beengend für den fruchtbaren Komponisten.

1903

MRI

[München]

Reger veranstaltet Liederabende in München, Berlin und auch Leipzig, wo Karl Straube im März sein Amt als Thomas-Organist u.a. mit einem Reger-Abend antritt. In München spitzt sich die Lage zu; der Uraufführung seines kombinatorisch und harmonisch äußerst komplizierten und expressiven Klavierquintetts c-moll op. 64 am 1. Mai gehen tumultartige Szenen voraus, die Aufnahme beim Publikum ist jedoch glänzend.

In der Euphorie der ersten Ehemonate komponiert Reger seinen Gesang der Verklärten op. 71, der die differenzierte Satztechnik des Klavierquintetts ins Große steigert. Gleichzeitig widmet Reger einen Großteil seiner Zeit der Herausgabe und Bearbeitung von Hugo Wolfs künstlerischem Nachlass, für den er auch in einem Aufsatz (Schriften A3) wirbt.

Seine neuartigen und praktikablen Beiträge zur Modulationslehre (Schriften A1) werden von Lauterbach & Kuhn abgelehnt, erfreuen sich nach ihrem Druck durch den Verlag C.F. Kahnt Nachfolger aber größter Beliebtheit, die sich in einer beachtlichen Zahl von Neuauflagen und Übersetzungen bis ins Japanische ausdrückt. Über eine abwertende Besprechung der Modulationslehre durch Arthur Smolian erregt sich Reger derart, dass er einen empörten Artikel (Ich bitte ums Wort! [Schriften A2]) schreibt, dem er im nächsten Jahr einen weiteren in gleicher Angelegenheit (Mehr Licht [Schriften A4]) folgen lässt; Smolian lässt sich jedoch nicht zum Kampf provozieren. Als Kompositionsauftrag entsteht die Violinsonate C-dur op. 72 mit den unmissverständlichen Themen über die Tonbuchstaben S-c-h-a-f-e und A-f-f-e, die Reger den Kritikern widmen will als Antwort auf den Vorwurf, unverständlich zu komponieren.

Straube spielt beim Basler Tonkünstlerfest des ADMV Regers Opera 27 und 57 auf der untauglichen, renovierungsbedürftigen Münster-Orgel und regt den Komponisten zu einem choralfreien Konzertstück für Orgel an; Reger widmet ihm seine Variationen und Fuge über ein Originalthema fis-moll op. 73 in Erinnerung an die Baseler Begegnung. Die erste Reger-Büste wird von dem Münchner Bildhauer Theodor von Gosen angefertigt, dem Reger zum Dank sein avantgardistisches Streichquartett d-moll op. 74 zueignet.

1904

MRI

[München]

Nach den wilden Werken des Jahres 1903 besänftigt Reger seine Verleger mit dem ersten Heft der Schlichten Weisen op. 76, von denen bis 1912 sechs Bände mit insgesamt 60 Liedern erscheinen werden. Auch die Trios op. 77 bringen eine bewusste Vereinfachung, mit der Reger Mozart huldigt.

In Felix Mottl, dem neuen Münchner Generalmusikdirektor und Direktor der Akademie der Tonkunst, erhält er einen Verbündeten. Mit ihm findet er als Schriftführer im neu gegründeten Ortsverein des ADMV zusammen, dem auch Max Schillings und als Vorsitzender Ludwig Thuille angehören. Das erste Konzert des Ortsvereins am 29. April ist ausschließlich Regers Schaffen gewidmet. Doch macht er sich mit seiner Satire Zum 1. April (Schriften A5), in der er den bombastischen Ton der Münchner Musikzeitschriften imitiert, in Pressekreisen wenig Freunde.

Seit Jahresbeginn arbeitet er an seinem ersten großen sinfonischen Werk, das unter dem Titel Serenade begonnen wird, dann aber zur Sinfonietta op. 90 anwächst. Sein Auftritt beim Frankfurter Tonkünstlerfest des ADMV am 31. Mai, bei dem er mit Henri Marteau seine Violinsonate C-dur op. 72 spielt, bringt eine Wende in sein Leben – von nun an ist er »wohnhaft in der Eisenbahn« (Brief vom 17. Juni an C.F. Peters) und wird in ganz Deutschland und im Ausland zu Reger-Abenden engagiert.

Nach dem Frankfurter Erfolg unterbricht er die Arbeit an der Sinfonietta op. 90 und erschließt sich einen neuen kompositorischen Bereich: Mit den Bach-Variationen op. 81 für Klavier und den Beethoven-Variationen op. 86 für zwei Klaviere schafft er über die Sommermonate zwei enthusiastisch aufgenommene Meisterwerke. Während er das Solowerk nie öffentlich spielt, avancieren die Beethoven-Variationen zu seinem zeitlebens bevorzugten pompösen Konzertabschluss, mit dem er selbst eingeschworene Gegner zu überzeugen vermag.

1905

MRI

[München]

Reger wird von Felix Mottl an die Akademie der Tonkunst berufen und tritt sein Amt während des Schuljahrs 1904/05 am 1. Mai an, legt es aber wegen Unstimmigkeiten mit dem überwiegend konservativen Lehrkörper am Ende des folgenden Schuljahrs im Juli 1906 wieder nieder. Viele seiner Schüler folgen ihm in den Privatunterricht.

Reger hat auf Reisen in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz große Erfolge, doch spitzen sich in München die Auseinandersetzungen mit dem »neudeutschen« Kreis um Ludwig Thuille, Max Schillings und den Kritiker Rudolf Louis zu. Beim Tonkünstlerfest des ADMV in Graz werden im Juni seine beiden Klavier-Variationen (Bach-Variationen op. 81, Beethoven-Variationen op. 86) begeistert aufgenommen, doch kommt es mit Schillings zum Bruch, in dessen Folge Reger im Januar 1906 aus dem ADMV austritt.

Am 28. September stirbt Regers Vater; der Sohn verspricht Mutter und Schwester, künftig für sie zu sorgen. Nur eine Woche nach der Beisetzung des Vaters findet in Essen am 8. Oktober die Uraufführung von Regers sinfonischem Erstling, der Sinfonietta op. 90, unter Felix Mottl große Beachtung, doch keine uneingeschränkte Zustimmung. Erst deren Wiederholung unter Fritz Steinbach in Köln bringt den Erfolg. Die Sinfonietta wird in der ersten Saison insgesamt 22-mal aufgeführt – zum Teil durch bedeutende Dirigenten wie (außer den genannten) Arthur Nikisch, Hermann Suter und Franz Schalk.

Am 8. Dezember spielt Reger für das im Jahr zuvor entwickelte Welte-Mignon-Reproduktionsklavier zehn kleinere Stücke ein.

1906

MRI

[München]

Im Februar absolviert Reger in Heidelberg bei Philipp Wolfrum mit der Sinfonietta op. 90 sein erfolgreiches Debüt als Dirigent. Zur gleichen Zeit eskalieren in München die Streitigkeiten zwischen Gegnern und Anhängern anlässlich einer Sinfonietta-Aufführung unter Felix Mottl. Reger nimmt dies äußerst schwer und vermutet Intrigen der verhassten »Clique« – diese habe »200 Freikarten ausgegeben […], um am 2. Februar (in München) op 90 auszupfeifen1. Sein Austritt aus der Akademie der Tonkunst und ein Zusammenbruch bei einem Berliner Konzert Anfang April, der eine längere Schonungspause nach sich zieht, sind die Folgen. Reger beschließt, die seit Mai 1904 geplanten Hiller-Variationen op. 100 für Orchester zurückzustellen, um die erregten Gemüter mit der schlichteren Serenade op. 95 zu beruhigen.

Im Herbst setzt seine umfangreiche Konzerttätigkeit im In- und Ausland wieder ein, die ihn mit größtem Erfolg bis nach St. Petersburg führt. In der Saison werden allein 25 ausschließliche Reger-Abende veranstaltet.

1907

MRI

[München]

Während eines Konzertaufenthalts in Karlsruhe empfängt Reger seine Berufung zum Universitätsmusikdirektor und Professor am Königlichen Conservatorium zu Leipzig; während er die erste Tätigkeit bereits im folgenden Jahr wieder aufgibt, bleibt er der eigens für ihn eingerichteten Meisterklasse für Komposition bis zu seinem Tode treu. Ihr Ruf strahlt in alle Welt aus und lockt Schüler aus dem In- und Ausland an.

Leipzig

Im März ziehen Max und Elsa Reger mit einer 90-jährigen Großtante nach Leipzig, im Juli nimmt das kinderlose Ehepaar das Waisenkind Christa in die Familie auf. Ein großzügiges Stipendium Henri Hinrichsens vom Verlag C.F. Peters ermöglicht es Reger, seine Konzerttätigkeit für ein Jahr einzuschränken und sich auf seine großen sinfonischen Werke, seine »Herzblutwerke«1, zu konzentrieren. Mit ihnen erreicht Reger die Anerkennung als führender deutscher Komponist neben Richard Strauss. Die niederländische Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst ernennt Reger zum Ehrenmitglied. Der Versuch, die ungünstige Bindung an die Verleger Lauterbach & Kuhn, die von ihm leichte und verkäufliche Werke verlangen, zu lösen und zu C.F. Peters zu wechseln, schlägt fehl. Reger greift mit zwei kämpferischen Artikeln in den Streit um den musikalischen Fortschritt ein (Musik und Fortschritt [Schriften A8], Degeneration und Regeneration in der Musik [Schriften A10]) und gerät in offene Opposition zu seinem einstigen Lehrer Hugo Riemann.

1908

MRI

[Leipzig]

Reger unterbricht die Fertigstellung des Violinkonzerts A-dur op. 101 nach dem zweiten Satz, um unter größtem Zeitdruck das Klaviertrio e-moll op. 102 zu komponieren, dessen Uraufführung schon im März im Leipziger Gewandhaus aus dem Manuskript erfolgt. Anlässlich der umjubelten Wiederholung beim Darmstädter Kammermusikfest erhält Reger vom hessischen Großherzog die Silberne Medaille für Kunst und Wissenschaft. Zum 350-jährigen Jubiläum der Universität Jena komponiert er den 1. Teil des 100. Psalms op. 106 und erhält nach der Uraufführung den philosophischen Ehrendoktor. Reger befreundet sich mit dem Bildhauer Max Klinger und dem Schriftsteller Richard Dehmel.

Die Monate Februar bis Juli muss Elsa Reger fast durchgehend im Krankenhaus und zur anschließenden Rehabilitation in einem Sanatorium bei Todtmoos im Schwarzwald verbringen. Den Reger’schen Haushalt führen in dieser Zeit die Sängerin Martha Ruben, mit der Reger seit seiner Münchner Zeit bekannt ist, und sein Schüler Paul Aron. Im Oktober nimmt das Ehepaar Reger ein zweites Mädchen in seine Familie auf: Selma Charlotte, genannt Lotti.

Die Uraufführung des Violinkonzerts im Leipziger Gewandhaus unter Arthur Nikisch mit dem Widmungsträger Henri Marteau wird nur von Arthur Smolian positiv aufgenommen. Regers Konzerttätigkeit setzt mit alter Intensität wieder ein, nun noch verstärkt durch zunehmende Engagements als Dirigent.

1909

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[Leipzig]

Nach dem harmonischen und künstlerisch fruchtbaren Beginn in Leipzig wachsen die Schwierigkeiten mit seiner Umgebung; jede schlechte Kritik und jeder schwache Konzertbesuch verstimmen Reger zutiefst, so dass er wieder zunehmend Bestätigung auf Konzertreisen sucht, die ihn bis nach London führen. Wie schon sein Wolf-Aufsatz (Hugo Wolfs künstlerischer Nachlass [Schriften A3], 1903) wird auch sein Artikel zu Mendelssohns 100. Geburtstag (Felix Mendelssohn Bartholdys »Lieder ohne Worte« [Schriften A11]) zur Anklage gegen die unverständige Mitwelt.

Im Januar spielt ihm in Köln der 17-jährige Adolf Busch, von seinem Bruder Fritz am Klavier begleitet, das Violinkonzert A-dur op. 101 auswendig vor. Die Begegnung bildet den Auftakt einer engen Künstler-Freundschaft, die über Regers Tod hinaus wirkt. Mit Max Schillings, inzwischen Generalmusikdirektor in Stuttgart, kommt es zur Aussöhnung und in der Folge zu Regers Wiedereintritt in den ADMV. Mit seinem fast klassischen Streichquartett Es-dur op. 109 gewinnt Reger die Beachtung jener Quartettvereinigungen, die dem »wilden« Vorgänger Opus 74 aus dem Jahr 1903 reserviert gegenüberstanden.

1910

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[Leipzig]

Im Mai wird das erste deutsche Reger-Fest in Dortmund veranstaltet, das in sieben Konzerten einen repräsentativen Überblick über Regers Schaffen bietet. Eingeschworene Reger-Interpreten wie Frieda Kwast-Hodapp, Henri Marteau und Karl Straube wirken unentgeltlich bzw. zu Minimalhonoraren an diesem für das damalige Musikleben revolutionären Ereignis mit. Das Fest verläuft zu Regers höchster Zufriedenheit und markiert einen Höhepunkt seines Ruhms.

Zugleich veranlasst es jedoch verschiedene Kritiker, darunter den Leipziger Walter Niemann, gegen Regers Eigenpropaganda zu Felde zu ziehen. Reger beginnt mit Niemann einen Rechtsstreit, in dem er zwar siegt, doch letztlich den Kürzeren zieht: Niemann wird zu seinem schärfsten Gegner und bildet mit seinen Leipziger Kollegen eine geschlossene Front gegen den Komponisten.

Auf Konzertreisen dagegen häufen sich die Erfolge; beim Tonkünstlerfest des ADMV in Zürich wird die Uraufführung des Klavierquartetts d-moll op. 113 gefeiert, das wie die übrigen Leipziger Kammermusikwerke nicht mehr so experimentell wie die Münchner Werke, doch äußerst expressiv und bis ins kleinste Detail durchgestaltet ist. Auch der 100. Psalm op. 106 kommt in Zürich unter Volkmar Andreae zu einer glanzvollen Wiedergabe.

Im Oktober wird Reger der medizinische Ehrendoktor der Universität Berlin verliehen. Die Begründung, »daß nichts so sehr geeignet ist, das Gemüt des bedrückten und kranken Menschen zu erheben und aufzuheitern, als die wahre Kunst, und daß insbesondere Max Reger, auf der Kunst der alten Meister fußend, mit reicher Erfindungsgabe sich der Musica sacra e profana gewidmet und sie dem Volke zugänglich gemacht hat«1, gibt Anlass zu manchen Glossen, die in Regers Werken eher Schilderungen von Seelenkrankheiten zu erkennen meinen.

Mit der Uraufführung des Klavierkonzerts f-moll op. 114 am 15. Dezember durch die Widmungsträgerin Frieda Kwast-Hodapp unter Arthur Nikisch im Leipziger Gewandhaus erreicht die Kette der negativen Reaktionen, die mit dem Violinkonzert A-dur op. 101 begonnen hatte, ihren Höhepunkt. Reger sucht Trost im Alkohol und gerät in einen äußerst labilen Seelenzustand, von dem Max Brod anlässlich eines Prager Konzerts vom 20. Dezember 1910 berichtet: »Wir sitzen und trinken. Besonders eifrig trinkt Reger. Daheim überwacht ihn seine Frau, so erzählt er unbefangen; auf Konzertreise fühlt er sich frei. […] Aus dionysischen Freuden verfällt er in bitteres Schluchzen. Die Arme liegen auf dem Tisch, das rote Gesicht tränenüberströmt auf den Armen. „Meine arme Mutter. O Gott, meine Mutter. Sie ist im Irrenhaus.“ […] Am nächsten Tag […] zeigten [wir] ihm die Prager Burg. Jetzt war er ernst und großartig. Nie wieder habe ich so stark das Gefühl gehabt, daß um eine geniale Person die elektrischen Funken wirbelnd toll zur Erde knistern. […] Am Abend […] wurde mir die Ehre zuteil, den Halbgott ins Konzert zu lotsen. […] Reger saß in seinem Zimmer bei Cognac, er war nicht mehr in schlichtmenschlichen Regionen. […] Nun, das wird ja heute abend im Konzert schön werden, dachte ich herzensbekümmert. Und dann, im großen Saal, spielte Reger mit einer Zartheit, einer gottergriffenen Innigkeit, einer Feinheit und Präzision, wie ich zeitlebens nie wieder Klavier spielen gehört habe.«

1911

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[Leipzig]

Im Februar erreicht Reger die Berufung zum Hofkapellmeister Herzog Georgs II. von Sachsen-Meiningen, die er in tiefster Unzufriedenheit mit der Leipziger Rezeption seiner Werke, jedoch unter der Bedingung, die Stellung am Konservatorium behalten zu können, gerne annimmt. Nach Vertragsabschluss zum 1. Dezember stürzt er sich sogleich in die wildeste Konzertplanung für die kommende Saison, in der er den Reisestil à la Hans von Bülow und Fritz Steinbach wieder aufleben lassen und das Meininger Orchester zu einstiger Größe führen will.

Seine letzten Leipziger Monate bleiben weiterhin geprägt von Misserfolgen zu Hause (u.a. bei der Uraufführung des Streichsextetts F-dur op. 118) und Erfolgen auf Reisen. Im März wird Reger vom Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg-Gotha zum Hofrat ernannt und widmet ihm zum Dank den dritten Band seiner Klavierstücke Aus meinem Tagebuche op. 82. Beim Darmstädter Musikfest im Mai erklingt der 100. Psalm op. 106 auf Wunsch des hessischen Großherzogs Ernst Ludwig gleich zweimal hintereinander, und in Bad Pyrmont findet unter Fritz Busch ein erstes Bach-Reger-Fest statt.

Im Juni stirbt nicht nur Elsa Regers Vater Ernst von Bagenski, sondern auch Max Regers Mutter, die ihr letztes Lebensjahr in einer psychiatrischen Klinik verbringen musste und für die der Tod »nur eine Erlösung«1 bedeutet. Im Herbst geht Reger mit Philipp Wolfrum auf eine höchst erfolgreiche, wochenlange Tournee mit Werken Johann Sebastian Bachs in eigenwilliger, jedoch überzeugender Interpretation, während seine Frau den Umzug der Familie nach Meiningen organisiert.

Bei der Berliner Uraufführung der Weihe der Nacht op. 119 im Oktober durch die Widmungsträgerin Gertrud Fischer-Maretzki verspricht Reger, Abstinenzler zu werden, woran er sich hält, bis ihm auch in Meiningen Überanstrengung und Probleme über den Kopf wachsen.

Meiningen

Nach seinem Meininger Amtsantritt zum 1. Dezember lässt der tägliche Umgang mit der traditionsreichen Hofkapelle Reger Orchesterwerke unterschiedlichster Stilrichtung schaffen, als variiere er die Alternativen zur Sinfonie und lote die klanglichen Möglichkeiten des Instrumentalkörpers aus. Die sperrig-massive Instrumentation früherer Werke lichtet sich, er schafft Partituren, in denen »jedes Nötchen genauestens auf Klang „berechnet“« (Brief vom 3. Oktober 1914 an den Verlag N. Simrock) ist. Seinem neuen Dienstherrn Herzog Georg II. huldigt er mit dem Konzert im alten Stil op. 123 in der ausdrücklichen Absicht, die höfische alte Form des Barockkonzerts wiederzubeleben.

1912

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[Meiningen]

Reger wendet sich erstmals dem Orchestergesang zu und vollendet im Mai An die Hoffnung op. 124, ein Werk, das die Tradition der großen Wagnerschen Schlussmonologe nicht verleugnet. In der Romantischen Suite op. 125 wie auch in der Böcklin-Suite op. 128 erprobt er sinfonische Werke von impressionistischem Klangreiz auf außermusikalischer Grundlage. Durch minutiöse Vorbereitung bringt Reger mit der Meininger Hofkapelle die eigenen, aber auch die Werke der Tradition zu vollendeter Wiedergabe; hierbei bilden die Sinfonien von Johannes Brahms einen Schwerpunkt seines Repertoires, an denen er zur Empörung der eingeschworenen Brahms-Anhänger, allen voran Fritz Steinbach, eigenmächtig Retuschen vornimmt.

Im November setzt Karlsruhe die Reihe der Reger-Feste fort; Reger trägt dabei mit der Hofkapelle einen »„Sieg auf der ganzen Linie“ als Komponist und Dirigent«1 davon. Zunehmend beansprucht durch seine rastlose Konzert- und Lehrtätigkeit (siehe Konzertsaison 1912/13) kann Reger in den folgenden Jahren im Wesentlichen nur während der Sommermonate komponieren.

1913

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[Meiningen]

Im April 1913 bildet die Instrumentierung von Franz Schuberts Memnon (Schubert-B2 Nr. 1) den Auftakt zu insgesamt 45 Bearbeitungen dieser Art, mit denen Reger in seinen drei letzten Lebensjahren eigenen sowie romantischen Liedern ein prächtiges Klanggewand gibt. Infolge eines Kompositionsauftrags zur Einweihung der Riesenorgel in der Breslauer Jahrhunderthalle wendet sich Reger nach langer Pause erneut der Orgelmusik zu; auch Introduction, Passacaglia und Fuge e-moll op. 127 widmet er Karl Straube.

Wie alle Tätigkeiten übertreibt er auch das Reisen mit der Hofkapelle (siehe Konzertsaison 1912/13); während er sich im höfischen Meiningen eingeengt und missachtet fühlt, sonnt er sich bei auswärtigen Konzerten in begeisterter Bestätigung. Das Heidelberger Bach-Reger-Fest im Juni bedeutet einen Höhepunkt seiner Anerkennung als »moderner Bach«.

Nachdem Reger bereits 1905 verschiedene Klavierrollen für die Freiburger Firma M. Welte & Söhne aufgenommen hat, werden von ihm am 28. Mai 1913 eine ganze Reihe kleinerer Orgelstücke eingespielt.

1914

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[Meiningen]

Völlig überreizt und überarbeitet hält Reger sein unmenschliches Programm nur noch mithilfe von Alkohol durch. Im Februar bricht er nach einem Konzert in Hagen zusammen, muss sämtliche Auftritte absagen und schließlich (zum 1. Juli) seine Stellung als Hofkapellmeister aufgeben. Doch bereits auf dem Krankenbett, unter ausdrücklichem Schreibverbot stehend, beginnt er, mit Instrumentationen eigener und Schubert’scher Lieder seinen schöpferischen Schwung wiederzugewinnen. Fruchtbarstes Ergebnis eines Kuraufenthalts in Meran und eines anschließenden Erholungsurlaubs in Schneewinkl sind die Mozart-Variationen op. 132, Regers wohl populärstes Werk. In sentimentalischer Sehnsucht und Distanz zu Mozart definiert er den eigenen Standort, mit Anklängen an seine jüngsten Orchesterwerke gibt er einen wehmütigen Rückblick auf die Meininger Zeit, der er die glänzende Beherrschung des Instrumentariums verdankt.

Der Ausbruch des I. Weltkriegs trifft Reger in der Sommerpause während heftigster Kompositionsarbeit. Nachdem er im ersten Kriegsmonat ein Klavierquartett a-moll op. 133, die spritzigen Telemann-Variationen op. 134 und den Orchestergesang Hymnus der Liebe op. 136 vollendet hat, scheint er mit der Vaterländischen Ouvertüre op. 140, gewidmet »Dem deutschen Heere«, in die allgemeine Kriegseuphorie zu verfallen. Doch wendet er sich während deren abschließender Revision bereits einem lateinischen Requiem (WoO V/9) zu, das er den Gefallenen widmen will. Die Ablehnung dieses hochexpressiven Werks größter Dimension durch seinen Freund und kritischen Berater Karl Straube lässt ihn die fortgeschrittene Komposition im zweiten Satz – einem Dies Irae voll apokalyptischer Visionen – abbrechen. Sein lebenslanger Traum vom oratorischen Hauptwerk ist gescheitert.

1915

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[Meiningen]

Sein Abschied als Dirigent der Meininger Hofkapelle, die zudem kurz nach Ausbruch des I. Weltkriegs aufgelöst wird, der Tod Herzogs Georgs II. sowie der Abbruch des Requiems WoO V/9 stürzen Reger in eine tiefe Schaffenskrise, aus der ihn erst der Umzug nach Jena befreit. Bis dahin ist er immer wieder auf Reisen (inkl. dreier Auftritte in den Niederlanden) und dirigiert u.a. in einem Konzert der Königlichen Kapelle in Berlin auf Einladung von Richard Strauss die Mozart-Variationen op. 132 und die Vaterländische Ouvertüre op. 140.

Jena

Seit März in der ruhigen Gelehrtenstadt Jena in der ersten eigenen Villa wohnend und von höfischen und beruflichen Zwängen befreit, gewinnt Reger den kompositorischen Elan zurück. An Karl Straube schreibt er am 7. April: »[…] jetzt beginnt der freie, jenaische Stil bei Reger«. Das sogenannte Spätwerk sowie zahllose Bearbeitungen verdanken ihre Entstehung fast ausnahmslos diesen ersten sieben entspannten Monaten, die als Regers sesshafteste gelten müssen, seit er im Mai 1904 mit einem Schlag beim Frankfurter Tonkünstlerfest berühmt geworden war. Doch spricht von der Violinsonate c-moll op. 139 über die Trios op. 141 bis zum letzten vollendeten Werk, dem Klarinettenquintett A-dur op. 146, aus den Jenaer Werken weniger Abklärung als elegische Resignation, die der früheren Rebellion gewichen ist. Mit dem Einsiedler op. 144a bekennt er sich zu seinem Künstlertum – auch er hat »wandermüd« der Welt den Rücken gekehrt (die erste Strophe des Eichendorff’schen Gedichts Der Einsiedler lautet: »Komm, Trost der Welt, du stille Nacht! | Wie steigst du von den Bergen sacht, | die Lüfte alle schlafen, | ein Schiffer nur noch, wandermüd, | singt übers Meer sein Abendlied | zu Gottes Lob im Hafen.«) und sich in der Musik eine Heimat geschaffen. Mit dem Parallelwerk Hebbel-Requiem op. 144b, das Elemente des verworfenen lateinischen Requiems (WoO V/9) aufgreift, entwirft er eine intime, nicht auf die Weltkatastrophe, sondern auf die eigene Existenz bezogene Vision von Tod und Vergessen.

1916

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[Jena]

Mit Beginn der Konzertsaison im Oktober 1915 endet die ruhige Jenaer Schaffensphase. Unter den erschwerten Reisebedingungen des Weltkriegs hetzt Reger erneut durch deutsche und holländische Konzertsäle und fährt zu seinem allwöchentlichen Konservatoriumsunterricht nach Leipzig. Erst nach Saisonende wendet er sich wieder der Komposition zu. Sein Adolf Busch gewidmetes Andante und Rondo capriccioso, mit dem er die Mängel des Violinkonzerts A-dur op. 101 – seine massige Instrumentation und seine Länge – zu korrigieren hofft, bleibt Fragment (WoO I/10). Am 10. Mai absolviert er seinen letzten Unterrichtstag und erliegt in der Nacht zum 11. Mai im Leipziger Hotel »Hentschel« einem Herzversagen.

Gedenkkonzerte werden in ganz Deutschland veranstaltet, und schon im Juli schließen sich die engen Freunde zu einer Max Reger-Gesellschaft zusammen. Der Plan Elsa Regers, die Jenaer Villa in eine bleibende Gedenkstätte umzuwandeln, wird wegen der aufkommenden Wirtschaftskrise nicht realisiert.

Quelle:

Reger-Werkausgabe, DVD, Carus-Verlag.